Die bayerischen Landstände im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung
von Ferdinand Kramer
Gerade bei der Untersuchung der Rolle des Landtages bzw. der Landstände in den eineinhalb Jahrhunderten zwischen 1648 und 1806 erscheint Bayern auf den ersten Blick als der idealtypische Fall eines dynastischen Fürstenstaates des Absolutismus1. Im Jahr 1669 tagte zum letzten Mal ein in München versammelter Voll-Landtag. Nachdem sie die Geldforderungen des Kurfürsten erfüllt hatten, wählten die drei Stände - Adel, Prälaten sowie Städte und Märkte - für eine Zeit von neun Jahren einen Landschaftsausschuß mit 16 Personen. Aus den neun Jahren wurden bis zur Auflösung der alten bayerischen Territorialverfassung 1803 und dem Erlaß einer neuen Verfassung im Jahr 1808 mehr als 130 Jahre, in denen die Landstände in ihrer Vollständigkeit nie mehr zusammentraten2. In der Forschung war deswegen - weitgehend analog zur deutschen wie internationalen Ständeforschung für die Zeit des Absolutismus3 - bis in die jüngste Zeit vom "Niedergang der Landstände in Bayern"4 die Rede. Die modernisierenden Errungenschaften in Staat und Gesellschaft während der Epoche des Absolutismus in Bayern erkannte zuletzt Ay als Leistung der absolutistischen Landesregierung, "welche die neue Zeit des egalitären bürgerlichen Rechsstaates heraufführte"5.
1 Zum Stand der Absolutismusdiskussion und der Rolle der Stände: Duchardt, Zeitalter 166-171, bes. 169.
2 Hammermayer, Ständevertretung, 1257-1266.
3 Gerhard, Vertretungen; Rausch, Grundlagen; Carsten, Ursachen; Kraus, Le développement; Baumgart, Ständetum.
4 Ay, Mitsprache, 471.
5 Ebda., 487.
Forschungsansätze
Ay steht mit seinem Urteil in einer langen Tradition ständegeschicht-licher Forschung in Deutschland - stellvertretend genannt seien Hintze, Hartung, Oestreich6 -, die ausgehend von der Frage nach dem Wesen des absolutistischen Staates und vom verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Ansatz des Dualismus7 von Fürst und Ständen den Blick auf die Landschaft richteten. Dieser Ansatz erhielt in jüngerer Zeit vom Blickwinkel eines Dualismus von Staat und Gesellschaft neuen Impetus. Sowohl der ältere von der Staats- und Verfassungsgeschichte geprägte dualistische Ansatz (Fürst-Stände) als auch der jüngere von der Gesellschaftsgeschichte geprägte dualistische Ansatz (Staat-Gesellschaft) nahmen und nehmen die modernisierenden Leistungen des Fürsten oder der Stände als Maßstab der Beurteilung8. Die durch den Modernisierungsansatz gewählte Perspektive war und ist implizit in hohem Maße eine aus der Zeit der Nachgeborenen, also der Tradition des monarchischen Reformstaats des 19. Jahrhunderts und/oder des parlamentarischen, sozialen und rechtsstaatlichen Repräsentativsystems, wie es sich nach 1949 auch in Deutschland durchsetzen konnte. Beide Perspektiven hatten für die Forschung zu den bayerischen Ständen des 17. und 18. Jahrhunderts grundlegende Bedeutung, wobei festzuhalten ist, daß Spezialforschungen zur Geschichte der Stände Bayerns im Absolutismus sich auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, also auf die Zeit der Aufklärung konzentrieren9. Vergleichsweise geringes Interesse hat die Geschichte der Stände für die Zeit Maximilians I.10, Ferdinand Marias11, Max Emanuels und Karl Albrechts gefunden. Nicht einmal der letzte Landtag von 166912 und die sehr eigenständige Rolle der bayerischen Stände während der Acht Kurfürst Max Emanuels ist eingehender untersucht.
6 Hintze, Typologie; Hartung, Herrschaftsverträge; Oestreich, Strukturprobleme, 143-271.
7 Lange, Dualismus.
8 Bosl, Repräsentierte; Ay, Mitsprache.
9 Steinwachs, Ausgang; Rall, Kurbayern, 386-521; Aretin, Landschaftsverordnung, modifiziert wieder in: Aretin, Bayerns Weg, 11-63; Rauh, Verwaltung; Henzler, Maximilian III.
10 Buchner, Landtafel; Hanisch, Landtage.
11 Buchner, Landtag; Hüttl, Kaspar von Schmid, 140-173; Schlögl, Landtag.
12 Buchner, Landtag; Schlögl, Landtag.
Das Interesse an der modernen Ständegeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist sodann wesentlich geprägt von den Fragen nach dem "Weg zum souveränen Staat", wie dies Aretin formuliert hat13. Auch Rauh leitete zuletzt noch einmal das Interesse am spätabsolutistischen Staat als "Nahtstelle" zur Moderne und untersuchte dabei die Rolle der Stände14. Er steht so auch in der Tradition der schon zeitgenössisch geführten Diskussion und Suche nach den Vorläufern der Landtage des 19. Jahrhunderts15. Die Forschung fragt damit aus der Perspektive der Kontinuitäten zwischen frühneuzeitlicher Landschaft und parlamentarischen Vertretungen des 19. Jahrhunderts, wie sie Weis eigens einer Untersuchung unterzogen hat16. Neben der Frage des Dualismus von Fürst und Ständen ist die Kontinuitätsperspektive der zweite leitende Forschungsansatz zu den bayerischen Ständen in der Zeit des Absolutismus und der Aufklärung.
Dualismus- und Kontinuitätsperspektive leiteten auch die von Bosl am bayerischen Beispiel gesuchten und davon ausgehenden Impulse für die Ständeforschung17. Dabei waren die Arbeiten Bosls, die Anregungen der wichtigen Untersuchung von Carsten18 aufgegriffen hatten, zusätzlich von der Suche nach einer historischen Legitimation des demokratischen Neuanfanges in Deutschland geprägt. Sie betonten deswegen die historische Kontinuität der Repräsentation des Landes gegenüber dem Fürsten19, suchten mit Blickle nach der politischen Partizipation des "Gemeinen Mannes" in den bayerischen Nachbarterritorien20 und modifizierten in der Folge das bis dato weitgehend negative Urteil über die Leistungen der bayerischen Stände. Dabei wurden für Bayern in modifizierter Wertung der Ergebnisse von Schmelzle21 die Erhaltung des Staatskredites durch die Stände und in Anschluß an Aretin die Wahrung eines bayerischen Staatsbewußtseins und -interesses gegenüber der Dynastie22 und schließlich der Beitrag der Stände zur Wahrung des rechtsstaatlichen Charakters des absolutistischen Territorialstaates als Leistungen der Landschaftsverordnung hervorgehoben23. Bezüglich der politischen Bedeutung der Stände im Kurfürstentum wurden besonders im Kontext der Schuldentilgung und der Tauschprojekte Karl Theodors für das 18. Jahrhundert bald eine "Renaissance" der Stände24 und auch ein "Aufstieg"25 der Landschaftsverordnung konstatiert.
13 Aretin, Bayerns Weg; Bosl, Geschichte der Repräsentation; Bosl, Parlamentarismus; Ay, Mitsprache; vgl. Rausch, Grundlagen; Grube, Stuttgarter Landtag.
14 Rauh, Verwaltung, 2.
15 Dazu Seitz, Verordnung.
16 Weis, Kontinuität; vgl. Press, Landtage.
17 Bosl, Parlamentarismus; Bosl, Geschichte der Repräsentation.
18 Carsten, Princes; vgl. Herde, Landstände.
19 Bosl, Geschichte der Repräsentation, 236.
20 Blickle, Landschaften.
21 Schmelzle, Staatshaushalt.
Wesentliche Forschungsdesiderata
Kooperative Elemente im Verhältnis Fürst-Landstände
Die aus der zweifellos ertragreichen Dualismusperspektive arbeitende Ständeforschung hat sich lange Zeit sehr stark auf konkurrierende Elemente und auf Gegensätze im Verhältnis zwischen Fürst und Landständen konzentriert. Analog zur neueren Ständeforschung, deren Anforderungen Press 1974 in einer ausführlichen Besprechung des Buchs von Blickle zusammenfassend und programmatisch formuliert hat26, sollten künftig auch die kooperativen Elemente im Verhältnis Stände-Fürst stärkere Aufmerksamkeit finden. Die Notwendigkeit der doppelten Sichtweise, also sowohl der Untersuchung des Neben- und Gegeneinanders als auch der kooperativen Elemente im Verhältnis von Ständen und Fürsten ergibt sich zum einen aus dem von der Politikwissenschaft forcierten Ansatz, den politischen Prozeß stärker in den Kategorien von Willensbildung und Entscheidungsfindung zu verstehen27. Sie ergibt sich zum anderen vor allem aus der Geschichte des Kurfürstentums Bayern im 17. und 18. Jahrhundert: Erstens waren Stände und Fürst auch nach den Konflikten des 16. Jahrhunderts in ihrem Selbstverständnis dem gleichen übergeordneten Ziel, der ge- meinen Landeswohlfahrt, verpflichtet. Zweitens waren der Landesfürst wie die Stände den außenpolitischen Bedrohungen des 17. und 18. Jahrhunderts ausgesetzt. Es war gemeinsames Interesse von Fürst und Landständen, die Landesverteidigung zu gewährleisten und die Krisen während und nach den Kriegen zu überwinden. Drittens bestanden erhebliche gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Landesherr und Ständen, insbesondere war der die Ständeverordnung dominierende Adel in vielerlei Beziehung durch Hof- und Staatsämter vom Fürsten, vor allem auch von dessen finanzieller Liquidität abhängig, andererseits der Fürst von der ständischen Schuldentilgung und Mitfinanzierung der Staatsausgaben. Viertens konnten Ständevertreter, die vielfach gleichzeitig Mitglieder der Zentralbehörden und des Hofes waren, Einfluß auf die Willensbildung und Entscheidungsfindung des Kurfürsten ausüben.
22 Aretin, Kurfürst; Aretin, Bayerns Weg, 64-119.
23 Bosl, Geschichte der Repräsentation, 237.
24 Hammermayer, Ständevertretung, 1258.
25 Aretin, Bayerns Weg, 11.
26 Press, Herrschaft.
27 Berg-Schlosser, Dirk/Maier, Herbert/Stammen, Theo (Hg.): Einführung in die Politikwissenschaft, München 31981, 186 f.; Deutsch, Karl W.: Politische Kybernetik, Modelle und Perspektiven, Freiburg31973.
Nicht von ungefähr hat ein verwaltungsgeschichtlicher Forschungsansatz, der häufig auf personelle Verflechtungen zwischen fürstlicher Zentralverwaltung und Ständen stieß, den Anstoß zur Untersuchung der kooperativen Elemente im Verhältnis Landschaft-Fürst gegeben28. Für Bayern finden sich Einsichten dazu bei der freilich wieder auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts konzentrierten Arbeit von Rauh, der denn auch die These von der Entmachtung der bayerischen Stände ablehnt und statt dessen von einem "voranschreitenden Einbau" der Stände in den Staatsbetrieb spricht29. In diesem Zusammenhang wäre es notwendig, das herkömmliche Urteil vom Niedergang der Stände im Absolutismus stärker auch an den aus der Kooperation von Fürst und Ständen erreichten Errungenschaften zu messen, und nicht nur an den Gegensätzen und Konflikten zwischen beiden. Zu vergleichen wäre wohl auch, ob die Stände und Landtage des 16. Jahrhunderts, die den Herzog mit ihren Machtansprüchen offen herausforderten, tatsächlich mehr Einfluß hatten und ihre Interessen wirklich besser durchsetzen konnten als die Stände und ihre Verordneten im Zeitalter des Absolutismus. Die Frage, ob es sich bei der Entwicklung der bayerischen Stände im Absolutismus tatsächlich um einen Prozeß des Niedergangs handelte oder doch vielleicht mehr um ein abruptes Ende im Gefolge der Umwälzungen der Französischen Revolution und des Endes des Alten Reiches, ist abschließend nicht geklärt30. Ein Vergleich der Entwicklung mit anderen Territorien, denen sich die neuere Ständeforschung zugewandt hat31, würde vierzig Jahre nach den vergleichenden Studien von Carsten32 den Blick für die Entwicklung in Bayern weiter schärfen33.
28 Press, Calvinismus; Vierhaus, Ständewesen; inzwischen wurden für verschiedene Territorien entsprechende Arbeiten vorgelegt: u.a. Lanzinner, Fürst; Jäger, Fürstentum Fulda; Buchholz, Finanzen; Reden, Verfassung; Seidel, Oberelsaß; Hauptmeyer, Souveränität; Hassinger, Landstände; Baumgart, Ständetum; Quarthal, Landstände; Stieglitz, Landesherr.
29 Rauh, Verwaltung, 148.
Politik der Stände, ständische Verwaltung und innerständische Konstellationen
Die Forschung konzentriert sich, bedingt durch die dualistische Betrachtungsweise, auf die aus der Landesverfassung resultierende Funktion der Stände gegenüber dem Fürsten. Über das "Innenleben" und die konkrete Politik der Landschaftsverordnung im Zeitalter des Absolutismus wissen wir wenig. Ohne Zweifel wird man zur Beurteilung der Bedeutung der Stände im 17. und 18. Jahrhundert die Politik der Stände genauer untersuchen müssen. Ansätze dazu hat Aretin34 erarbeitet. Für die Endphase der Stände liegen die ältere Arbeit von Steinwachs35 und nunmehr die Studie von Seitz36 vor. Ansonsten klafft zwischen den Arbeiten von Greindl und Lanzinner37 für das 16. Jahrhundert bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts eine empfindliche Lücke. Für die Erbhuldigungen38, den ständischen Beitrag zur Schuldentilgung, die Postulatsverhandlungen, die Frage nach dem ständischen Anteil an der fürstlichen Politik und für vieles andere mehr sind genauere Untersuchungen der Politik der Stände notwendig.
30 Vgl. Demel, Staatsabsolutismus, 38.
31 Wie Anm. 28.
32 Carsten, Princes.
33 Vgl. Press, "Ständestaat"; Press, Formen.
34 Aretin, Landschaftsverordnung.
35 Steinwachs, Ausgang.
36 Seitz, Verordnung.
37 Greindl, Untersuchungen; Lanzinner, Fürst.
38 Schattenhofer, Landtage.
Wichtig zum Verständnis der ständischen Politik und innerständischer Verhältnisse wäre eine Untersuchung der Entwicklung der landschaftlichen Ämterstrukturen und des dort tätigen Personals. Sie könnte durch mentalitätsgeschichtliche Ansätze erweitert werden, die dann auch das Selbstverständnis der Landschaft klarer erkennbar machen würden.
Aus den edierten Landtagsverhandlungen bis 166939 und dem jüngst teiledierten Bericht Prielmayrs über den Landtag von 166940 wissen wir, daß zwischen den Interessen der drei Stände oft erhebliche Gegensätze bestanden, man denke an die Problematik des Landhandwerks41 und des wachsenden grundherrschaftlichen Besitzes der Orden42. Auch innerhalb eines Standes gab es erhebliche Differenzen, etwa zwischen hohem und niederem Adel. Für die Zeit nach 1669 fehlt zu solchen Fragestellungen jegliche Forschung. Unbekannt ist im übrigen auch das jeweils eigene, und dann das Zusammenwirken der nach wie vor für Oberbayern und Niederbayern, die Oberpfalz43 und Pfalz-Neuburg44 selbständigen Ständecorpora. Unbekannt ist weitgehend, wie sich unterschiedliche regionale Interessen innerhalb der Landschaft artikulierten. Interessant wäre wohl auch der Blick auf die Stände des Innviertels, deren Lösung von den bayerischen Ständecorpora und Integration in die österreichischen nach 1778.
Bezüglich des Innenlebens der Ständeverordnung wäre es besonders wichtig, die Nachwahlen bzw. die Kooptationen zu untersuchen. Dabei würden sich nicht nur innerständische Konstellationen auftun, sondern es würde auch klarer werden, ob und wie der Kurfürst versuchte, die Macht der Stände von innen auszuhöhlen45. Als 1778 eine Nachwahl in die Steuerkommission der Landschaft anstand, versuchte Karl Theodor einen Kandidaten seiner Präferenz durchzubringen, was mit nur einer Stimme Mehrheit gelang, dann aber von den Gegnern des Kurfürsten verhindert wurde, indem auf den Umstand re- kurriert wurde, daß der gewählte Graf Spaur Ausländer sei46. In dem Zusammenhang wäre auch zu untersuchen, ob und inwiefern der Kurfürst durch Nobilitierung47 und Verleihung von Hofmarken und Edelsitzen48, die mit der Landstandschaft49 behaftet waren, gezielt versuchte, die Macht der Stände zu schwächen; dabei verdienten die Nobilitierungen während der wittelsbachischen Reichsvikariate und des Kaisertums Karls VII. Albrecht besondere Aufmerksamkeit. Sehr wichtig wäre zudem der Blick auf die Rolle der Räte der Zentralbehörden in der Landschaft50.
39 Krenner, Landtagshandlungen.
40 Schlögl, Landtag.
41 Wittmütz, Gravamina, 53-60.
42 Ebda., 22 f.
43 Köhle, Regierung; Press, Fürst; Laschinger, Amberg.
44 Eikam, Landstandschaft; Cramer-Fürtig, Staatsbildungsprozeß.
45 Aretin, Landschaftsverordnung, 213 f., 222-230.
Anwendung der prosopographischen Methode
Wichtige Fortschritte bei der Kenntnis sowohl über die konkurrierenden und kooperativen Elemente in der Beziehung Stände-Fürst als auch über die Politik und das Innenleben der Landschaft müßten auf der Basis und in Verbindung mit verwaltungsgeschichtlichen Arbeiten durch prosopographische Analysen zu erreichen sein. Da der Ständeausschuß nur 16 Personen und das Verwaltungspersonal vom Landschaftskanzler bis zu den Steuerkommissaren der Landschaft ca. 50 Personen umfaßte, ist eine eingehende prosopographische Analyse durchaus machbar, vor allem wenn man sich zunächst auf den Adel, der 50% der Landschaftsverordneten stellte, konzentriert. In der bisherigen Forschungslandschaft zur Geschichte Bayerns im 17. und 18. Jahrhundert fällt auf, daß dort, wo personengeschichtlich orientierte Forschungsansätze mitspielen - etwa im Zuge der Erforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften51, der Illuminaten52 und der Zentralbehörden53 -, in der Regel die Funktion der Person in ihrem spezifischen institutionellen Kontext sehr im Vordergrund steht. Andererseits besteht durch diese Arbeiten eine gute Basis für weitergehende Forschungen. Wichtig wäre der Blick auf Doppel- und Mehrfachfunktionen als Grund- und Niedergerichtsherr, Patrizier oder Prälat, in der Landschaft, am Hof, in Bildungseinrichtungen, in den Zentralbehörden, Regierungen und Verwaltungen. Natürlich ist auch eine genauere Untersuchung der familiären Verflechtungen nötig, das auch mit Blick auf die Spitzen der Domkapitel54, Prälatenklöster55 und das städtische Patriziat56. Insgesamt gilt es, prosopographisch-strukturell und gleichzeitig ereignisgeschichtlich-biographisch zu arbeiten, um dann auch im konkreten Fall die Wirksamkeit der personellen Verflechtungen bewerten zu können. Nach wie vor fehlen weitgehend politische Biographien von Persönlichkeiten in den Verwaltungsspitzen des Kurfürstentums, für die Stände wäre da zunächst wohl an die einflußreichen Landschaftskanzler, besonders an Johann Bruno und dessen Sohn Franz Anton von Unertl57 sowie an Karl Anton Barth58 zu denken.
46 Riaucour an Stutterheim, 1779 III 14, München, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Loc. 2659, Der Grafen Riaucour Abschickung 1779; die Berichte des sächsischen Gesandten in München, Graf Riaucour, für die Jahre 1778 und 1779 widmen der Ständeproblematik große Aufmerksamkeit.
47 Riedenauer, Entstehung; Sagebiel, Problematik; Rauh, Verwaltung, 152; vgl. Lanzinner, Sozialstruktur.
48 Kramer, Hofmarken.
49 Vgl. Primbs, Landschaft; Buchner, Landtafel; Volkert, Landtafeln.
50 Für das 16. Jahrhundert Lanzinner, Fürst; Greindl, Untersuchungen.
51 Hammermayer, Akademie; Kraus, Historische Forschung.
52 Schüttler, Mitglieder.
Quelleneditionen
Wichtige Grundlage für die Erforschung der bayerischen Stände im Zeitalter des Absolutismus ist eine bessere Erschließung der Quellen. Generell wird man für die Zeit des Absolutismus in Bayern konstatieren müssen, daß nur sehr wenige Quellen durch eine Edition für Forschung und Lehre zugänglich gemacht wurden59. Das gilt besonders auch für die Quellen zu den bayerischen Landständen. Einer reichen archivalischen Überlieferung, die durch das selbständige Landschaftsarchiv in Bayern tradiert wurde, steht eine dürftige Erschließung dieser Quellen sowohl bezüglich der Repertorisierung als auch der Edition entsprechender Materialien für das 17. und 18. Jahrhundert gegenüber. In der Reihe der modernen Ansprüchen keineswegs genügenden Krennerschen Landtagshandlungen wurden bekanntlich nur die Voll-Landtage berücksichtigt, also die von 1605, 1612 und 1669. An neueren Quellenpublikationen stehen einzelne in der Reihe der "Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft" edierte Akten für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts60 und eine Teiledition des ausführlichen zeitgenössischen Berichtes Korbinian von Prielmayrs über den Landtag von 1669 allein61. Eine wichtige gedruckte Quellengrundlage für die Geschichte der Landstände im 18. Jahrhundert wird man in der zeitgenössischen Publizistik und in der historischen wie staatsrechtlichen Forschung zur Zeit der Aufklärung in Bayern finden. Sie ist zudem der wichtigste Vorläufer der modernen historischen Ständeforschung in Bayern62. In der Auseinandersetzung zwischen dem Kurfürsten Karl Theodor und den Ständen in Fragen der Außen-, Finanz- und Reformpolitik und im Zusammenhang mit dem Ende der altständischen Verfassung, der Schaffung einer neuen Repräsentativverfassung und der Parlamentarisierungsdiskussion des 19. Jahrhunderts entstanden ein erneuertes ständisches Bewußtsein und ein verstärktes Interesse an Fragen der Vertretung des Landes gegenüber dem Fürsten, das auch nach den Wurzeln der ständischen Rechte fragte und diese historisch legitimierte. Entsprechende Arbeiten, Traktate, Streit- und Flugschriften wurden von Zimmermann63, Weis64 und zuletzt vor allem von Seitz65 zusammengestellt und ausgewertet.
53 Heydenreuter, Hofrat; Henker, Zentralbehörden; Hopfenmüller, Rat; Fischer, Rat; Bauer, Rat; Burgmair, Regierungsstellen; Schmid, Reformabsolutismus.
54 Hersche, Domkapitel.
55 Krausen, Herkunft.
56 Lieberich, Landstände, 199-222, 223-238.
57 Aretin, Bayerns Weg, 46.
58 Seitz, Verordnung.
59 Müller, Absolutismus, 43 f., 63 f., 80, 83, 112 f., 133-135, 139.
60 Dokumente I/3, 101-103.
61 Schlögl, Landtag.
62 Vor allem Panzer, Versuch; Rudhart, Geschichte; Freyberg, Geschichte; Lipowsky, Geschichte; Lerchenfeld, Freiheitsbriefe.
63 Zimmermann, Verfassungsgeschichte.
64 Weis, Kontinutität.
65 Seitz, Verordnung.
Einzelaspekte
Geistige Grundlagen
Die Frage, inwiefern die Rezeption von aufklärerischem Gedankengut die Rolle der Stände im spätabsolutistischen Bayern verändert hat, wurde bisher wenig untersucht. Über die politische Philosophie und die Staatsrechtslehre des Absolutismus und der Aufklärung in ihrer bayerischen Brechung ist die Forschung wenig fortgeschritten66. In der zeitgenössischen spätabsolutistischen Diskussion durch Streitschriften, die eine zentrale Quelle darstellen, spielte vor allem die Kontroversfrage bezüglich der Repräsentation des in Bayern nicht in den Ständen vertretenen Gemeinen Mannes eine Rolle. Die spätabsolutistische Kritik an der bayerischen Landschaftsverordnung gewann ihre Spitze nicht zum geringsten aus dem Umstand, daß der Gemeine Mann hier nicht vertreten war, daß die Landschaftsverordnung eben nicht die Gesamtheit des Landes repräsentierte67.
Die ältere absolutistische Kritik an der Rolle der Landstände in Bayern entwickelte auf der Basis der Staatslehre von Justus Lipsius Kurfürst Maximilian I. in seinen Monita Paterna68. Ihm folgte der leitende Minister seines Sohnes, Caspar von Schmid. Der Kanzler Ferdinand Marias versuchte, wie Hüttl gezeigt hat, aus der früh- und hochmittelalterlichen Herzogsgeschichte Bayerns den fürstlichen Absolutismus historisch-staatsrechtlich zu legitimieren. Ein entsprechendes Traktat Schmids wäre wohl eine Edition wert69. Von großer Bedeutung für die Stände wurde die Staatsrechtslehre Johann Adam Ickstatts, des Lehrers der Aufklärung in Bayern, dessen Ideen besonders auf Kurfürst und Kaiser Karl Albrecht, Max III. Joseph und die an der Universität Ingolstadt studierenden späteren Spitzen der bayerischen Zentralverwaltung wirkten. Ickstatt setzte sich, wie Kreh in Ansätzen darlegt, als akademischer Lehrer wie als politischer Berater in Bayern für die Zurückdrängung der Landstände bei der Gesetzgebung und Verwaltung ein. Zwar räumte er noch ein, daß die Land- stände die Gesamtheit der Untertanen repräsentierten, doch die Stimme der Landstände hatte in seiner Sicht nur beratenden, nicht entscheidenden Charakter70. Der nach Ickstatt in Bayern wirksamste Staatsrechtler, der Kanzler Wiguläus von Kreittmayr71, hat die Auffassung Ickstatts in seinem bayerischen Staatsrecht weitergegeben und damit den bis zum Ausgang des alten Reiches maßgeblichen Standard gesetzt, wie jüngst wieder Willoweit72 dargelegt hat.
66 Quint, Souveränitätsbegriff.
67 Seitz, Verordnung.
68 Dollinger, Kurfürst; Kraus, Maximilian I., 48 f.
69 Hüttl, Caspar von Schmid, 140-173.
Inwiefern sich Ständevertreter selbst mit den Staatsrechtslehren und der politischen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts auseinandergesetzt haben, ist weitgehend unbekannt73. Die Forschung konzentriert sich in der Regel auf die wohl noch vom Blickwinkel des 19. Jahrhunderts geprägte Feststellung, die Stände hätten lediglich auf der Einhaltung ihrer alten Privilegien und Freiheiten beharrt. Die Auseinandersetzung der Stände mit den egalitären und emanzipatorischen Ideen im Gefolge der französischen Revolution ist vor allem im Spiegel der massiven Kritik an der Landschaftsverordnung bekannt, wie sie etwa von Josef von Utzschneider und Josef Socher vorgetragen wurde und von Schmitt74 und jetzt vor allem von Seitz eingehend untersucht wurde. Bemerkenswert an den Ergebnissen von Seitz ist, daß sich die von den Vorgängen in Frankreich und der englischen Verfassungswirklichkeit beeinflußte Kritik in hohem Maße auf die Landschaftsverordnung und deren 16 Mitglieder konzentrierte, wogegen von der Einberufung eines Voll-Landtages allgemein wesentliche Reformen erwartet wurden75. Der Voll-Landtag galt offensichtlich als ein Reforminstrument.
Wirtschaftliche und herrschaftliche Machtgrundlage der Stände
Zur Beurteilung von Macht und Einfluß der Stände ist ihre herrschaftliche und wirtschaftliche Basis näher zu untersuchen. Dafür bietet der Historische Atlas von Bayern eine wichtige, weit fortgeschrittene, aber bislang wenig ausgewertete umfangreiche Materialbasis76. Wichtiges Hilfsmittel ist die Zusammenstellung des landständischen bayerischen Adels, der Prälaten und Städte und Märkte durch Lieberich77. Hilfreich sind auch die älteren Landtafeln78 sowie eine von Ksoll gebotene Aufreihung der im 17. Jahrhundert landsässigen Adelsgeschlechter79. Wenig untersucht sind nach wie vor die Herrschaftsrechte und die wirtschaftliche Basis einzelner Adelsgeschlechter, wie überhaupt die Adelsforschung in Bayern wenig voranschreitet. Die neueren, auf die Wirtschafts- und Herrschaftsgeschichte konzentrierten Untersuchungen von Ksoll80 und Kellner81 vornehmlich über die Törring stehen ziemlich alleine. Wichtig für allgemeine wirtschafts- und soziostrukturelle Erkenntnisse zum bayerischen Adel im 17. und 18. Jahrhundert sind zudem Arbeiten von Zang82 und Beisel83, außerdem die Beiträge von Schlögl84 und Störmer85, sodann neuere, den Forschungsstand für den Ausgang des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts resümierende Arbeiten von Demel86. Hilfreich ist sicherlich auch das wachsende kunstgeschichtliche Interesse für die Hofmarksschlösser87. Einige neuere, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschungsansätze aufgreifende Hofmarksgeschichten verbessern den Kenntnisstand weiter88. Neuere Monographien über Prälatenklöster89 tragen dazu ebenfalls bei, wobei Ansätze zur Kenntnis der politischen Funktion als Mitglied der Landschaftsverordnung nur für den Pollinger Propst Franz Töpsl bekannt sind90. Sehr wenig erforscht sind nach wie vor die bayerischen Städte und Märkte, auch wenn jetzt eine Dissertation von Hoffmann zumindest für Oberbayern neue Wege weist91. Generell gilt es freilich festzustellen, daß Adel, Prälatenklöster und Städte vornehmlich unter verfassungs-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aspekten untersucht werden, wogegen das politische Wirken als Landstand einer Untersuchung harrt.
70 Kreh, Ickstatt, 65-109, 148-152.
71 Bauer/Schlosser, Kreittmayr.
72 Willoweit, Staatsrecht.
73 Vgl. Vierhaus, Land.
74 Schmitt, Joseph Socher.
75 Seitz, Verordnung, 314.
76 Historischer Atlas von Bayern, hg. von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1950 ff.
77 Lieberich, Landstände.
78 Volkert, Landtafeln.
79 Ksoll, Verhältnisse, 213-239.
80 Ksoll, Verhältnisse.
81 Kellner, Hofmarken.
82 Zang, Sozialstruktur.
83 Beisel, Nobility.
84 Schlögl, Absolutismus.
85 Störmer, Adel; Störmer, Grundherrschaft.
86 Demel, Lage; Demel, Adelsstruktur; Demel, Adel.
87 Burmeister, Schlösser.
88 Erichsen, Blutenburg; Lauchs, Baierbrunn; Liebhart, Inchenhofen; Knauer-Nothaft, Berg am Laim; Laturell/Mooseder, Moosach I.
89 Schinagl, Attel; Winhart, Wessobrunn.
90 Dülmen, Propst.
Finanzen, Steuern, Schuldentilgung, Außenwirtschaft - Ständischer Anteil an der Reformpolitik
Eng verflochten mit den Forschungen von Schmelzle ist ein in der Intensität beachtliches Interesse an der staatsrechtlichen und finanzpolitischen Bedeutung der Stände im Steuer- und Finanzwesen des Kurfürstentums Bayern. In den Ursprüngen aus der Kameralistik des 18. Jahrhunderts zu verstehen, haben sich Staatsrechtler des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in mehreren Dissertationen dem Anteil der Stände an der Steuer, der Finanzierung der Staatsausgaben und der Schuldentilgung gewidmet92. Zu Recht wurde dieser Aspekt der Ständegeschichte zuletzt wieder von Henzler für die Zeit Max' III. Joseph93 und von Rauh für den bayerischen Spätabsolutismus94 betont, verwaltete doch die Ständeverordnung mit eigenen Steuer- und Zollbeamten einen großen Teil des Steuer- und Abgabenaufkommens des Landes und bestritt im 18. Jahrhundert mit der Landschaftskasse etwa 45% des staatlichen Finanzbedarfes des Kurfürstentums95. Gerade in der Finanzfrage und vor allem bei der von den Landständen geleisteten Schuldentilgung für den Kurfürsten wurde der Dualismus von Ständen und Fürsten für Bayern immer wieder festgemacht. Wenig Interesse hat bis dato - abgesehen von den Arbeiten Häberles96 und Schremmers97 - die für Bayern eminent wich- tige Außenwirtschafts- und Zollpolitik allgemein und die Rolle der Stände dabei im besonderen gefunden.
91 Hoffmann, Städte; s.a. Hoffmann, Probleme.
92 Hoffmann, Geschichte; Gerbl, Kontrolle; Hitzlberger H., Steuerbewilligungsrecht; Hitzlberger W., Steuerbewilligungsrecht; Kühn, Entstehung; Klotz, Staatshaushalt; vgl. Schlögl, Bauern, 235-261; Schmelzle, Staatshaushalt.
93 Henzler, Maximilian III.
94 Rauh, Verwaltung, 183-282.
95 Schmelzle, Staatshaushault; Schremmer, Finanzwirtschaft; Ullmann, Schulden; Ullmann, Staatsschulden.
96 Häberle, Stubenrauch; Häberle, Zollpolitik; Häberle, Bestimmung.
97 Schremmer, Wirtschaft, 616-672.
Spätestens im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Stände wird man auch die Frage nach dem ständischen Anteil an der Reformpolitik nach dem 30jährigen Krieg und während der Aufklärung zu stellen haben. Die Landschaftsverordnung lavierte, wie Rankl am Beispiel der Steuerveranlagungen von 1671, 1721 und 1752 dargelegt hat, zwischen "Privatnutz" und "Gemeinem Besten"98. Ohne die ständische Schuldentilgung und Mitfinanzierung wäre jedenfalls die Reformpolitik Max' III. Joseph und seiner Nachfolger schwer möglich gewesen. Nicht zuletzt waren innovative und reformwillige Personen wie Graf Anton von Törring-Seefeld99 und der Pollinger Propst Franz Töpsl100 Mitglieder der Landschaftsverordnung. Der Ansatz zur Erforschung der kooperativen Elemente im Verhältnis Stände-Fürst würde in diesem Zusammenhang wohl Früchte tragen und die ältere Stigmatisierung der Landschaftsverordnung als eigennützige Interessenvertretung und Modernisierungshindernis weiter in Frage stellen.
Außen- und Reichspolitik
Bezüglich der Außen- und Reichspolitik standen Gegensatz und Zusammenarbeit zwischen Ständen und Fürsten in engster Wechselwirkung. Die Stände drängten in der Regel zum Erhalt des Friedens, wie Henzler für Max III. Joseph zuletzt anschaulich gezeigt hat101. Kenntnisse zur Rolle der Stände in der Außenpolitik hat vor allem Aretin erarbeitet und dabei darauf verwiesen, daß in den Wiener Archiven diesbezüglich reiches Material liegt102. In den politischen Biographien zu Maximilian I.103, Caspar von Schmid104, Max Emanuel105, Karl Al- brecht106, Karl Theodor107 und Montgelas108 finden sich weitere Hinweise, doch überwiegt die Betrachtung der institutionell-strukturellen Bedeutung der Stände in ihrer Rolle gegenüber dem Landesherrn.
98 Rankl, "Privatnutz", 504.
99 Rauh, Verwaltung, 168; Hammermayer, Sozietät.
100 Dülmen, Propst.
101 Henzler, Maximilian III., 138.
102 Aretin, Bayerns Weg, 11-119.
103 Kraus, Maximilian I., 50-53.
104 Hüttl, Caspar von Schmid, 140-180.
105 Hüttl, Max Emanuel, 45-47.
Formell hatten die Stände kein Mitspracherecht in außenpolitischen Angelegenheiten, doch waren sie bei der Finanzierung der Landesverteidigung und des Heeres entscheidende Instrumentarien absolutistischer Außenpolitik und konnten so versuchen, Einfluß geltend zu machen. Die außenpolitischen Fehlschläge und der daraus resultierende finanzielle Niedergang des Kurfürstentums unter Max Emanuel und Karl VII. haben die bayerischen Kurfürsten in erhebliche finanzpolitische Abhängigkeit von den Ständen gebracht; die Stände versuchten in der Folge, massiv auf Max III. Joseph und Karl Theodor einzuwirken, um außenpolitische Risiken zu vermeiden. Die Einflußnahme und Rolle der Stände auf die Außen- und Reichspolitik ist ein Forschungsdesiderat, dies gerade auch deswegen, weil die Stände in der Zeit der Besetzung bayerischer Lande 1706-1714, 1743-1745 und 1778/79, bei den Tauschprojekten 1778 und 1785 und während der Revolutionskriege eine sehr eigenständige Rolle spielten109. Die Untersuchung der Aktivitäten der Stände in den Besatzungs- und Kriegszeiten würde wohl auch dem Bild von der Organisation und dem Selbstverständnis der Stände erheblich schärfere Konturen geben, das zeigt die Darstellung der Vorgänge um den Pfaffenhofener Vertrag von 1796 in der Dissertation von Seitz110.
Die Geschichte der Landschaft im Bayern des Absolutismus erweist sich nicht nur als ein Paradeexerzierfeld für eine methodenvielfältige und -integrierende Forschung, sondern liefert auch wesentliche Beiträge zum Verständnis der facettenreichen staatlichen wie gesellschaftlichen Wirklichkeit des Absolutimus. Ihre Erforschung, besonders auch im geistigen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kontext der Zeit des Absolutismus und der Aufklärung in Bayern, verdiente mehr Aufmerksamkeit.
106 Hartmann, Karl Albrecht, 59-61.
107 Rall, Karl Theodor, 250; Ebersold, Karl Theodor, 219-234.
108 Weis, Montgelas.
109 Aretin, Bayerns Weg, 11-119.
110 Seitz, Verordnung, 228-252.
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